Der Darm – Ein Superman mit Billionen Untermietern

Der Darm – Ein Superman mit Billionen Untermietern.

Fachkommentar: Mag. pharm. Gabriele Müller |

Der Darm ist ein gewundener, stark gefalteter Muskelschlauch mit einer Länge von ca. 8 m und einer Fläche von ca. 400 Quadratmetern!

Im Laufe unseres Lebens schleust er etwa 30 Tonnen Nahrung durch unseren Körper und trennt Nützliches von Schädlichem. Für solche Höchstleistungen erneuert er ungefähr alle zwei Tage seine Oberfläche.

Der Darm besteht aus mehreren Teilen:

Der Dünndarm schließt direkt an den Magenausgang an. Er gliedert sich auf in den Zwölffingerdarm (Duodenum), Leerdarm (Jejunum) und Krummdarm (Ileum). Die innere Wand des Dünndarms ist wie eine Ziehharmonika stark gefaltet. Über die Dünndarmwand gelangen lebensnotwendige Nahrungsbestandteile in unser Blut.

Im rechten Unterbauch mündet der Dünndarm in den Dickdarm. Dieser hat mit seinen Teilen, dem Blinddarm (Caecum) mit Wurmfortsatz (Appendix), dem Grimmdarm (Colon) und dem Mastdarm (Rektum) im Wesentlichen die Aufgabe, den Nahrungsbrei durch Entzug von Wasser und Mineralien einzudicken. Der Stuhl wird in wellenförmigen Muskelbewegungen (Peristaltik) auf den Darmausgang zu bewegt.

Doch Superman Darm kann noch viel, viel mehr:

Barrierefunktion: Er bildet eine lebenswichtige Abgrenzung zwischen der Außenwelt (Nahrung) und unserem Körper. Ist diese Barriere löchrig (leaky gut) gelangen schädliche Stoffe in unseren Organismus, die unser Immunsystem aktivieren und so allergische und entzündliche Reaktionen auslösen.

Immunsystem: Etwa 80% unserer Immun-abwehrzellen sitzen im Darm. Sie stehen über das Blut- und Lymphsystem in direktem Kontakt mit unseren Schleimhäuten z.B. in Mund, Nase und Bronchien. Die Immunzellen lernen ständig dazu, um „Feind von Freund“ unterscheiden zu können und uns so effektiv vor ungewollten Eindringlingen zu schützen.

Bauchhirn: Wir alle kennen den Spruch: „Aus dem Bauch heraus entscheiden“. Da ist viel dran. Denn unser Darm verfügt über ein eigenes Nervensystem mit mehr als 100 Millionen Nervenzellen, von denen er umhüllt ist. Über die sogenannte Darm-Hirn-Achse „unterhalten“ sich Kopf und Darm. Als Kommunikationsmittel dienen Botenstoffe, die im Darm selbst oder von seinen unzähligen Untermietern – den Darmbakterien – produziert werden.

Darm und Gehirn stehen also in engem Kontakt. Daraus folgt:

Der Darm hat einen immensen Einfluss auf unsere Psyche. Im Gegenzug können seelische Belastungen wie z.B. Stress unseren Darm und seine Funktionen stark beeinträchtigen.

Die Macht der Darmbakterien

Die „Darmflora“, auch Mikrobiom oder Mikrobiota genannt, meint alle Mikroorganismen, die den Darm besiedeln – größtenteils Bakterien, aber auch Pilze und Viren. Unfassbar groß ist ihre Anzahl. Mittlerweile kennt man ca. 1000 unterschiedliche Darmbakterien-Arten. Zahlenmäßig schätzt man die Untermieter in unserem Darm auf 100 Billionen mit einem Gewicht von ca. 1,5 kg.

1 Gramm Darminhalt beherbergt demzufolge mehr Lebewesen als die Erde Menschen!

Unsere kleinen Mitbewohner unterstützen unseren Darm bei seinen vielfältigen Aufgaben, dass man hier sogar von einem Organ im Organ sprechen kann:

  • Versorgung der Darmschleimhaut, indem sie kurzkettige Fettsäuren wie Acetat, Propionat und Butyrat produzieren. Diese versorgen unsere Darmschleimhaut mit Energie und halten sie so funktionsfähig.
  • Verdauung und Gewichtsregulation: Viele Bakterien im Dickdarm machen sich als „Resteverwerter“ nützlich. Sie bauen Nahrungsbestandteile ab, die der Mensch mit seinen Enzymen nicht aufspalten kann. Dazu zählen vor allem die Ballaststoffe – unverdauliche Pflanzenbestandteile. Je nach Besiedelungstyp sind wir gute oder schlechtere „Futterverwerter“ und neigen so mehr oder weniger zu Übergewicht.
  • Aufrechterhaltung der Darmbarriere: Bakterien helfen bei der Kontrolle, welche Stoffe die Darmbarriere passieren dürfen und welche nicht.
  • Produktion lebenswichtiger Vitamine wie Vitamin K, Vitamin B12, Folsäure und Biotin
  • Neutralisation giftiger Substanzen wie z.B. Nitrosaminen und polyzyklische Kohlenwasserstoffe
  • Immunabwehr: „gute“ für uns nützliche Keime halten „böse“ krankheitserregende Bakterien, Viren und Pilze in Schach, so dass diese sich nicht ausbreiten können. Außerdem fungieren sie als „Trainingspartner“ für unser Immunsystem und halten es so einsatzbereit.
  • Produktion von Botenstoffen für unser Gehirn wie z.B. die Glückshormone Serotonin und Dopamin

Jeder Mensch hat seine eigene Darmflora. Sie ist so einzigartig wie ein Fingerabdruck.

Vor der Geburt ist der Darm leer und steril. Erst mit dem Geburtsvorgang gelangen Bakterien der mütterlichen Flora über den Mund des Babys in dessen Magen-Darm-Trakt. Es hängt also von der Zusammensetzung des Mikrobioms der Mutter ab, welche Bakterien sich als „Initialzündung“ beim Neugeborenen ansiedeln und welche mehr oder weniger gute Startposition ein Kind für’s Leben bekommt. Hier sollten Schwangere unbedingt vorsorgen.

Mikroben-WGs

Unsere Darmbakterien bilden Wohn-Gemeinschaften. Bei uns Menschen finden sich drei Hauptgruppen (Enterotypen) mit jeweils einer Haupt-Bakteriensorte. Je nach Art dieses Leitstammes (Bacteroides, Prevotella oder Ruminococcus) können wir Nahrung besser oder schlechter verwerten. Und neigen so mehr oder weniger zu Übergewicht.

Störungen der Darmflora können Krankheiten auslösen:

Störfaktoren für das empfindliche Gleichgewicht des Mikrobioms sind beispielsweise:

  • Medikamente zur Blockierung der Magensäure (landläufig: „Magenschutz“), Antibiotika, Schmerzmittel u.v.m.
  • Reisen in ferne Länder mit fremden Keimen
  • psychische Belastungen, Stress
  • einseitige Ernährung: Es gibt Hinweise, dass unsere ballaststoffarme Ernährungsweise die Artenvielfalt des Mikrobioms verringert.

Beschwerden wie zeitweise Verdauungsbeschwerden, Blähungen, Bauchschmerzen, Durchfall, Verstopfung sind hier die harmloseren Folgen. Abgesehen davon, dass sich diese manifestieren und chronisch werden können, ist es auch möglich, dass entzündliche Darmerkrankungen wie beispielsweise Reizdarm, Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa enstehen.

Die daraus folgenden Schädigungen der Darmschleimhaut und somit der Darmbarriere können wiederum:

  • Nahrungsmittelunverträglichkeiten
  • Allergien
  • Autoimmunkrankheiten (z.B. Rheuma, multiple Sklerose)
  • Migräne
  • Hauterkrankungen (z.B. Neurodermitis)
  • Darmkrebs

und vielerlei mehr nach sich ziehen.

Auch Krankheiten wie Morbus Parkinson, Alzheimer, Diabetes, Depression, Autismus u.v.m. werden mittlerweile ursächlich mit einer Veränderung der Darmflora in Zusammenhang gebracht.

Was können wir tun?

Mit sogenannten „Probiotika“ (Präparate mit nützlichen Darmbakterien in hoher Zahl) können wir die Darmflora positiv beeinflussen. Das ist während und vor allem nach einer Antibiotika-Gabe extrem wichtig.

Mit „Prebiotika“ (Ballaststoffe als Bakterienfutter) und ballaststoffreichen Nahrungsmitteln füttern wir unsere nützlichen Untermieter, um diese zu vermehren und artenreich zu halten, damit sie ihre wichtigen Aufgaben erledigen können.

2020-08-31T11:14:42+02:00
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